Unsere KMU

«Ich habe mich immer mehr für Inhalte interessiert»

Bilder: Marco Vara
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Der Geograf und Politikwissenschaftler Michael Hermann ist ein gefragter Experte und Autor in den Medien. Im Interview erklärt der 50-Jährige, weshalb er sich heute trotzdem eher als Unternehmer denn als Politologe sieht und was er unter einem guten Führungsstil versteht.

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    Michael Hermann

    Michael Hermann studierte Geografie, Volkswirtschaft und Geschichte an der Universität Zürich. Der 50-jährige selbsternannte Politgeograf leitet heute sein eigenes politik- und sozialwissenschaftliches Analyse- und Umfrageinstitut Sotomo und gilt als gefragter Politikexperte und Autor.

    Sotomo

Michael Hermann, die im Februar von der AXA und Ihrem Forschungsinstitut durchgeführte KMU-Studie zeigt, dass KMU über 55-jährige Mitarbeitende positiver bewerten, sie aber nicht mehr einstellen. Wie kommt es zu dieser Diskrepanz?

Langjährige Mitarbeitende besitzen viel Know-how, sind routiniert und kennen und leben die Unternehmenskultur. Das macht sie wertvoll für das Unternehmen. Wenn man hingegen jemanden neu einstellt, tätigt man eine Investition – die lohnt sich im Hinblick auf den begrenzten Zeithorizont bei Arbeitnehmenden über 55 auf den ersten Blick nicht in gleicher Weise wie bei einem 25-Jährigen, zumal dieser in Bezug auf Lohn und Altersvorsorge deutlich  günstiger ist. Trotzdem ist es gerade aufgrund der aktuellen Herausforderungen in der beruflichen Vorsorge wichtig, dass wir diesen Aspekt berücksichtigen und auch älteren Arbeitnehmenden eine Chance geben. Wenn wir schon generell die Arbeitszeit der Leute nicht erhöhen wollen, sollten wir das vorhandene Potenzial nutzen und die 65 Jahre ausreizen.

Die Studie zeigt auch, dass die Schweizer KMU noch nicht auf das neue Datenschutzgesetz vorbereitet sind. Wie erklären Sie sich das?

Ich kann das gut nachvollziehen, schliesslich bin ich selbst Unternehmer. Und obwohl wir durch unsere Arbeit ein sehr datenaffines Unternehmen sind, ist das Thema auch bei uns noch zu wenig auf dem Radar, weil uns im hektischen Arbeitsalltag oft die Zeit fehlt, uns damit auseinanderzusetzen. Ich denke, es geht vielen KMU ähnlich. Viele sind sich vermutlich noch gar nicht bewusst, dass sie hier vorausschauend agieren müssten, da sie glauben, diese Regelungen betreffen nur die Grossfirmen.

Der Fachkräftemangel ist in der Studie ebenfalls ein grosses Thema.

Der Arbeitsmarkt ist derzeit tatsächlich sehr ausgetrocknet. In meiner eigenen Firma war das bisher noch kein Problem. Wir finden neue Mitarbeitende meist über unser Netzwerk und beschäftigen, ergo suchen hauptsächlich Studienabgänger. Wie die Studie zeigt, hat sich der Fachkräftemangel stark verschoben. Die befragten KMU hatten vor allem bei Stellen, die nach praxisnahen Ausbildungsprofilen verlangen, Mühe, die Vakanz zu besetzen. Offensichtlich ist, dass man im Handwerksbereich den demografischen Wandel lange unterschätzt hat, da er durch die Zuwanderung aus dem EU-Raum ausgeglichen werden konnte. Gerade in diesen Branchen können auch keine Prozesse ins Ausland ausgelagert werden, das muss hier vor Ort geschehen. Da sehe ich schon sehr grosse Herausforderungen.

Es heisst, wenn ein Politikjournalist keine Meinung hat, ruft er Michael Hermann an. Was ist Ihr Geheimnis?

Dass ich eine Meinung habe und mich getraue, diese auch zu äussern. (Lacht.) Nein, im Ernst. Ich bin schon sehr lange in diesem Geschäft, und zu vielen Journalisten habe ich eine langjährige Beziehung. Vermutlich schätzen sie mich als Gesprächspartner, weil ich mich nicht hinter Fachvokabular verstecke, sondern die Dinge auf den Punkt bringe. Ich war Legastheniker, deshalb muss ich heute noch alles so einfach und klar wie möglich formulieren. Das mögen Journalisten wohl, da es ihnen dadurch leichter fällt, ihren Leserinnen und Lesern einen komplizierten Sachverhalt zu erklären.

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    Meine Firma

    Originaltext erschienen in «Meine Firma», dem KMU-Magazin der AXA Schweiz.

    ZUR AKTUELLEN AUSGABE

Nun sind Sie nicht nur Politologe, sondern seit einigen Jahren selbst auch Unternehmer mit Ihrem eigenen Forschungsinstitut Sotomo.

Ich hatte lange grossen Respekt davor, ein eigenes Unternehmen zu leiten. Ich komme ja aus der Forschung und habe mich immer viel stärker für Daten, Inhalte und Forschung interessiert als für klassisches Management. Den Schritt ins richtige Unternehmertum mit Angestellten habe ich erst 2016 gewagt und bin damit sehr spät eingestiegen, habe also nicht die typische Unternehmerkarriere hingelegt.

Warum gerade dann?

Nach all den Jahren, in denen die Forschung und das Dozieren im Vordergrund standen, war der Zeitpunkt für eine Weiterentwicklung gekommen. Mit meinem eigenen Institut kann ich heute das machen, was mich interessiert und worin meine Fähigkeiten liegen; in den Rest bin ich hineingewachsen. Heute sehe ich mich eher als Unternehmer denn als Experte und Forscher.

Das heisst, Sie machen jetzt auch Managementkram?

Ich beschäftige mittlerweile elf Leute, aber mein Anteil an direkten Führungsaufgaben ist nach wie vor sehr gering. Ich arbeite an vielen Projekten mit oder gebe Input, aber meine Mitarbeitenden agieren sehr selbständig und führen sich grösstenteils selbst. Meiner Meinung nach liegt der Hebel zu einer guten Führung in der firmeneigenen Kultur und Philosophie. Wenn man die richtigen Leute beschäftigt und ihnen Freiraum und Eigenverantwortung lässt, wirkt sich das auf ihre intrinsische Motivation aus. Sie arbeiten gerne und geben ihr Bestes. Das wiederum wirkt sich auf ein kollegiales, familiäres Betriebsklima aus, und das wiederum auf eine geringe Fluktuation. Ich fange zwar erst an, mich mit Management und Führungsstilen zu beschäftigen, bin aber überzeugt, dass man eine solche Kultur auch in grösseren KMU etablieren kann.

Wie stark hat Sie als Unternehmer die Krise der letzten beiden Jahre getroffen?

Als Firma haben wir von der Pandemie profitiert. Diese völlig unbekannte Situation hat immens viele Fragen aufgeworfen, dadurch ist die Nachfrage nach Meinungsumfragen stark gestiegen. Wir haben aber auch sehr agil reagiert: Eine Woche nach Einberufung der ausserordentlichen Lage haben wir im Team besprochen, dass wir dazu eigentlich eine Studie machen müssten; eine Woche später stand der erste SRG-Corona-Monitor. Ökonomisch gehören wir also zu den Gewinnern der Pandemie, und dafür bin ich sehr dankbar. Ich bin mir bewusst, dass andere KMU stark gelitten haben.

Durch die Pandemie wurde die Schweizer Bevölkerung in vielen Themen in zwei Lager gespalten. Bildet sich diese Wahrnehmung auch in Ihren Umfragen ab?

Grundsätzlich gibt es nie nur zwei Lager, links oder rechts, schwarz oder weiss. Auch während Corona nicht. Die Angehörigen der extremen Lager – egal ob starke Befürworter  oder starke Gegner – sind aber immer die, die sichtbar werden und viel Raum einnehmen. Sie beherrschen die öffentliche Debatte, weil sie eine klare Meinung haben und diese auch lautstark kommunizieren. Diejenigen dazwischen, die Unsicheren, äussern sich selten öffentlich. Das heisst aber nicht, dass es sie nicht gibt. Unsere Umfragen zeigen, dass die Schweizer Bevölkerung meist viel nuancierter ist, als in den Medien dargestellt wird.

Die Aussage, dass die Coronapandemie einen Graben in der Schweizer Bevölkerung geschaffen hat, ist also falsch?

Bedingt. Corona hat unser aller Alltagsgeschehen über lange Zeit hinweg dominiert, sowohl im sozialen Bereich als auch wirtschaftlich und politisch. Es hat uns alle betroffen, und jeder hatte seine eigene Meinung zu den Massnahmen, sei es nun zur Impfung, zum Covid-Zertifikat oder zur Maskenpflicht. In diesen Dingen konnte man seine Wertehaltung nicht verstecken wie bei anderen Themen, weil sie direkte Auswirkungen auf unseren Alltag hatte und dadurch sichtbar wurde. Aber sobald diese Massnahmen weggefallen sind, haben sich auch die Gemüter wieder beruhigt.

«Wenn man die richtigen Leute beschäftigt und ihnen Freiraum und Eigenverantwortung lässt, wirkt sich das auf ihre intrinsische Motivation aus. Sie arbeiten gerne und geben ihr Bestes.»

Michael Hermann, Politologe und Unternehmer.

Das Stimmvolk versenkt in letzter Zeit eine Vorlage nach der anderen, jede dritte Abstimmung ist eine Niederlage für das Parlament. Entfremdet sich der Bundesrat vom Volk?

Tendenziell haben sich Bundesrat und Parlament dem Volk in den vergangenen Jahren sogar angenähert. Die Politik hat gelernt, was mehrheitsfähig ist: In letzter Zeit kam kaum noch eine Vorlage vor das Volk, die von Anfang an keine Chance hatte. Dadurch hat man aber auch viel weniger gewagt und bewegt. Mit der grünen Welle bei den letzten Wahlen kam auch wieder mehr Dynamik in die politische Landschaft. Und wie immer gilt: Wer mehr wagt, fällt auch schneller auf die Nase. Den Trend zur Entfremdung sehe ich aber eher zwischen Wirtschaft und Gesellschaft.

Die perfekte Überleitung für meine nächste Frage: Ist die Schweizer Bevölkerung zunehmend wirtschaftsfeindlich?

Sie ist zumindest nicht mehr so wirtschaftsfreundlich wie früher, das hat die letzte Abstimmung über die Emissionsabgaben bestätigt. Durch die Bankenkrise, hohe Managementboni oder zum Beispiel das Swissair-Grounding hat das typisch Schweizerische, das Vertrauen in eine von Patrons dominierte, wenig regulierte Wirtschaft, seit den Nullerjahren immer mehr verloren. Und damit auch das früher geltende Narrativ, eine Vorlage sei gut für die Schweizer Wirtschaft, wenn sie gut für die Unternehmen ist. Dadurch sind die Hürden für politische Anliegen von KMU höher geworden, und es muss mehr Überzeugungsarbeit geleistet werden.

Welchen Einfluss haben die sozialen Medien auf die Meinungsbildung der Leute?

Medien generell hatten und haben einen starken Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung.  Aber das war schon immer so. Waren es früher vermehrt Fernsehen und Printmedien, sind es heute eher die Onlinemedien oder die sozialen Medien. Hier hat lediglich eine Verschiebung stattgefunden.

Digitale Plattformen werden aber zunehmend zum politischen Machtfaktor. Ich denke da an «Wecollect», die Online-Plattform des Netzaktivisten Daniel Graf. Was bedeuten solch neue Formen des professionellen Campaignings für die direkte Demokratie?

Ein solch professionelles Campaigning hat einen massiven Einfluss auf die direkte Demokratie, das haben wir gerade erst bei der Abstimmung zur E-ID gesehen. Heute ist es viel einfacher, Gleichgesinnte zu finden und zu mobilisieren. Eine kleine Gruppe kann über digitale Kanäle innerhalb kürzester Zeit mehrere Hunderttausend E-Mail-Adressen sammeln. Das darf man nicht unterschätzen. Diese Möglichkeiten beeinflussen nicht nur die Politik, sondern haben auch direkte Auswirkungen auf Unternehmen.

Inwiefern?

Eine Shitstorm-Kampagne kann heute durch einige wenige Personen gestartet werden und doch einen grossen Reputationsschaden bei einer Firma erzeugen. Das setzt Unternehmen viel stärker unter Druck, ihre gemachten Versprechen auch einzuhalten, gerade bei Themen wie Nachhaltigkeit, Diversity usw. Unternehmen – oder auch öffentliche Personen – sind dadurch viel angreifbarer und kritisierbarer geworden. Man muss lernen, damit umzugehen.

Und wie macht man das?

Stärke zeigen und einen Shitstorm auch einfach mal aushalten, sonst hetzt man die Gegner erst recht gegen sich auf. Das hat sich auch während der Pandemie gezeigt: Sobald der Bundesrat unsicher wurde, haben die Gegner Blut geleckt und noch lauter protestiert. Hier können Unternehmen von der Politik lernen. Früher war es ja eher umgekehrt.

Eine letzte Frage zum Abschluss: Was wünschen Sie sich für Ihre eigene Zukunft und für die der Schweiz?

Für mich selbst wünsche ich mir, dass ich das, was ich tue, noch sehr lange machen kann – ich bin zwar schon 50, aber als Unternehmer stecke ich noch in den Kinderschuhen und möchte mit Sotomo noch viel erreichen. Und für die Schweiz wünsche ich mir, dass wir aus diesen beiden Krisen nicht fatalistisch herausgehen. Sondern dass wir uns bewusst sind, wie privilegiert wir alle sind, und daraus etwas lernen und mitnehmen.

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