Die vom Bund garantierten Überbrückungskredite während Corona haben vielen KMU über die schlimmste Zeit hinweggeholfen. Doch die Krise zeigt, dass auch liquide KMU schnell und unerwartet in finanzielle Engpässe geraten können. Wir stellen verschiedene Finanzierungsmöglichkeiten vor.
Die durch das Coronavirus ausgelöste Wirtschaftskrise stellte die Unternehmer vor die grösste Herausforderung seit Jahrzehnten. So hat der Lockdown bei vielen KMU zu meist unerwarteten Liquiditätsengpässen geführt. Der Bund gewährte mit den Überbrückungskrediten schnelle Abhilfe; trotzdem gehen Experten davon aus, dass der Bedarf von KMU an Fremdkapital auch in Zukunft anhalten wird. «Die Krise hat viele Unternehmen hart getroffen, und wichtige Investitionen mussten aufgeschoben werden. Dies dürfte wiederum den Bedarf an Fremdkapital erhöhen. Auch die Digitalisierung erfordert weitere Investitionen, um die Wettbewerbsfähigkeit in Zukunft erhalten zu können», sagt Urs Gauch, Leiter Departement Firmenkunden und Geschäftsleitungsmitglied bei Raiffeisen Schweiz. Dabei dürften insbesondere bei Betriebsmittelfinanzierungen oder Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen klassische Bankkredite überwiegend zum Einsatz kommen, so Gauch.
In einigen Fällen lohnt es sich aber, nach Alternativen zu suchen: Lange Zahlungsfristen oder mangelnde Zahlungsmoral der Kunden können KMU schnell in einen Liquiditätsengpass bringen, sagt Richard Hügle, Senior Expert Factoring Finance der Credit Suisse (Schweiz) AG. Hier bietet sich Factoring als Lösung an: «Von einem Factoring spricht man, wenn Unternehmen offene Forderungen aus Lieferungen und Leistungen an ein Factoringunternehmen verkaufen. So kann der Factoringnehmer bereits direkt nach Rechnungsstellung über einen Grossteil der Liquidität verfügen.»
Der Vorteil: Das Risiko des Forderungsausfalls (Delkredererisiko) geht an das Factoringunternehmen über. Eine Factoringlösung bietet sich gemäss Richard Hügle insbesondere dann an, wenn Unternehmen neben einer Liquiditätsverbesserung zusätzliche Bedürfnisse wie Bilanzstrukturoptimierung oder die Absicherung von Debitorenausfallrisiken aufweisen.
Für KMU ergeben sich durch Factoring auch auf der Beschaffungsseite signifikante Vorteile, so Hügle: «Bis zu 90 Prozent der angekauften Rechnungsbeträge können als Vorschuss beansprucht werden. Die Möglichkeit, seinen Lieferanten gegenüber als Barzahler aufzutreten, erlaubt es oft, Skonti und Rabatte durchzusetzen oder seinerseits im Vertrieb längere Zahlungsziele anzubieten. Entsprechende positive Kosteneffekte sind die Folge.»
«Die Nachfrage nach neuen Finanz- und Liquiditätsquellen wird im Rahmen von Corona weiter ansteigen»
Seit einigen Jahren bietet auch die Fintech-Branche immer mehr Alternativen zum traditionellen Bankkredit. In den USA und Grossbritannien schon längst etabliert, werden Crowdfunding-Lösungen wie beispielsweise Crowdlending auch bei uns immer beliebter. Crowdlending umfasst die Finanzierung von Unternehmen oder Privaten durch private oder institutionelle Anleger über digitale Vermittlungsplattformen; als Gegenleistung erhalten die Darlehensgeber Zinszahlungen, deren Höhe in der Regel abhängig vom Risiko des Kapitalnehmers ist.
Michael Borter, der mit Cashare 2008 die erste Crowdlending-Plattform der Schweiz gründete, erklärt den Vorteil des Geschäftsmodells: «Seit der Finanzkrise 2008 sind die Eigenkapitalvorschriften für Banken enorm gestiegen und die Finanzinstitute deutlich restriktiver bei der traditionellen Kreditvergabe geworden. Ausleihen im Bereich von 50’000 bis 300’000 Franken sind meist zu klein und kostspielig und werden KMU dadurch verwehrt. Da bieten wir eine einfache und unkomplizierte Alternative für kleine und mittlere Unternehmen.»
Finanzierungen über Crowdlending-Plattformen seien insbesondere für KMU interessant, die eine Wachstumsphase finanzieren oder eine Investition tätigen möchten, so Borter: «Gerade in solchen Situationen können KMU meist nicht genügend Sicherheiten vorweisen, um einen Bankkredit zu erhalten. Da bietet sich eine Kreditfinanzierung über eine Vermittlerplattform an.»
Ohne eine entsprechende Bonitätsprüfung erhält man zwar auch bei Cashare keinen Kredit; so werde auch hier jeder Kreditnehmer zuerst geprüft, bevor er bei Investoren Geld einsammeln dürfe. Der Prozess sei aber vergleichsweise unkompliziert und schnell. «Während wir bei Cashare einem KMU innerhalb von 24 Stunden Bescheid geben, ob ein Kreditantrag angenommen wurde oder nicht, kann das bei einer Bank schnell einmal fünf Wochen dauern», sagt Michael Borter.
Und das Geschäft boomt: War Cashare 2008 noch der einzige Anbieter in der Schweiz, vermitteln mittlerweile 28 Crowdfunding-Plattformen Firmenkredite an KMU. Allein der Crowdlending-Markt erreichte 2020 ein Volumen von 448 Millionen Franken, was im Vergleich zum Vorjahr ein Wachstum von fast 60 Prozent bedeutet. Das kommt nicht von ungefähr, ist Michael Borter überzeugt – biete die Kreditvergabe über Online-Plattformen doch einen weiteren Vorteil: «Crowdlending ermöglicht Unternehmen, mit potenziellen Kunden in einen direkten Dialog zu treten, und eignet sich deshalb auch gut zur Gewinnung und Bindung von Kundinnen und Kunden.» Ein gutes Projekt könne das Image eines Kreditnehmers fördern respektive eine grössere Community überhaupt erst auf ein innovatives Projekt aufmerksam machen. So könne es gelingen, Investoren für eine Idee zu gewinnen, welche sie unter anderen Voraussetzungen nicht unterstützen würden.
Noch spielen Factoring oder Crowdfunding im Schweizer Kreditmarkt eine rudimentäre Rolle, aber Richard Hügle von der Credit Suisse ist überzeugt, dass alternative Möglichkeiten wie Factoring durchaus Potenzial aufweisen: «Die Nachfrage nach neuen Finanz- und Liquiditätsquellen wird im Rahmen von Corona weiter ansteigen. Aufgrund des eingetrübten konjunkturellen Umfelds und weiter vorherrschender Unsicherheit in Bezug auf die Pandemie werden KMU verlässliche Finanzierungspartner künftig noch stärker zu schätzen wissen.»
Und auch Urs Gauch von Raiffeisen Schweiz sieht die zunehmende Konkurrenz im Markt entspannt: «Wir bauen unsere Produkt- und Online-Angebote laufend aus und kennen die Bedürfnisse unserer Kunden durch unsere lokale Verankerung sehr gut. Der klassische Bankkredit, Leasing und Hypothekarfinanzierungen werden weiterhin wichtig bleiben. Grundsätzlich sind wir aber der Meinung, dass die Kunden vom Wettbewerb zwischen zahlreichen Anbietern und einem grossen Angebot profitieren.»
Originaltext erschienen in Meine Firma, dem KMU-Kundenmagazin der AXA.
Michael Borter gründete die erste Crowdlending-Plattform der Schweiz 2008 gemeinsam mit seinem COO Roger Müller. Der ehemalige Banker und sein Kompagnon gelten damit als Pioniere der Crowdfunding-Szene. Cashare bietet eine digitale Plattform für Peer-to-peer-Kredite, welche ohne Umwege über herkömmliche Bankprodukte zwischen Investoren und Kreditnehmern vermittelt werden. Heute beschäftigt Marktführer Cashare 15 Mitarbeitende.
Der Firmensitz befindet sich in Hünenberg ZG.
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