Ein Mann in dunkelblauem Anzug mit weißem Hemd und Brille sitzt zwischen zwei Stahlträgern.
Mitarbeiter und Vorsorge

Gesundheitsförderung: Vorsorge statt Nachsorge

Bild: Marco Vara

Gesunde und motivierte Mitarbeitende sind das A und O einer funktionierenden Firma. Deshalb empfiehlt es sich, deren Bedürfnisse abzuholen und auf sie einzugehen – besonders in KMU, die sich Ausfälle noch weniger leisten können als Grossunternehmen.

 

Betriebliches Gesundheitsmanagement

Treiber fürs Kernbusiness

«Das Bewusstsein, wie wichtig gesunde und motivierte Mitarbeitende sind, ist heute deutlich grösser als vor zehn Jahren», sagt Martin Rüthemann, Fachleiter Betriebliches Gesundheitsmanagement bei der AXA. Es sei ein Umdenken im Gange, betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) nicht als freiwilliges Nice-to-have, sondern als essenziellen Treiber fürs Kernbusiness zu sehen. «Wenn wir die Motivation und Gesundheit von Mitarbeitenden steigern, erhöhen wir unter anderem deren Leistungsfähigkeit. Dies wirkt sich direkt auf den Unternehmenserfolg aus», so der Experte. «Wenn hingegen Mitarbeitende krankheits- oder unfallbedingt ausfallen, haben andere Mitarbeitende mehr Druck, und es entstehen Wartezeiten für Kundinnen und Kunden. Auch dies beeinflusst direkt die Wirtschaftlichkeit.»

Auch Roland Hegnauer, Leiter des Kompetenzzentrums Arbeit KA Bern, ist überzeugt, dass man es sich als KMU heute nicht mehr leisten könne, das betriebliche Gesundheitsmanagement zu vernachlässigen. Dies belegen auch die Zahlen einer aktuellen, repräsentativen Umfrage der AXA bei 300 KMU: Rund 75 Prozent der Befragten gaben an, dass in Bezug auf die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden besondere Herausforderungen für die eigene Firma bestehen – bei den grossen KMU mit 50 bis 250 Mitarbeitenden sind es gar 97 Prozent. Auch aus ökonomischer Sicht lohnt sich die Vorsorge – sie ist deutlich günstiger als Nachsorge. Abwesenheit und Präsentismus – das Arbeiten trotz Krankheit – kosten Unternehmen CH 600–1000 pro Tag.

Ein Früchtekorb ist noch kein BGM

Laut Martin Rüthemann geht es bei einem umfassenden Gesundheitsmanagement deshalb auch um substanzielle Themen wie die Reduktion von Arbeitsunterbrechungen oder von Überbelastungen: «Massnahmen wie der bekannte Früchtekorb oder kostenloses Wasser haben nichts mit BGM zu tun.» Wer das BGM professionell angeht, startet mit einer Analysephase, um herauszufinden, wo der Schuh drückt: Wie geht es allen? Können alle ihre Leistungen erbringen?

Studien wie der Job-Stress-Index der Gesundheitsförderung Schweiz zeigen: Bereits vor der Pandemie fühlten sich drei von zehn Erwerbstätigen gestresst – mit gravierenden Folgen wie Schlafstörungen, Herzproblemen, Burnout oder Depressionen. Ausfällle spüren Teamkolleginnen und -kollegen deutlich. Auch deshalb ist es wichtig, präventiv zu handeln.

Gemäss Martin Rüthemann besteht das BGM im Normalfall aus Analyse, Umsetzung und Evaluation, damit es zielführend ist. «Allerdings müssen diese Phasen nicht immer gross angelegt sein», so der Experte. Interessen und Bedürfnisse der Mitarbeitenden könnten auch anders als durch eine umfassende Umfrage abgeholt und wunde Punkte erkannt werden. Dann liessen sich punktuell zu einzelnen Themen Massnahmen umsetzen, die es dann zu bewerten gilt. «Wenn eine Geschäftsleitung merkt, dass der Umgang mit Konflikten die Mitarbeitenden umtreibt, kann sie beispielsweise einen Workshop zu diesem Thema durchführen und im Anschluss Feedback einholen.»

Der Arbeitsklima-Kompass

Der von DearEmployee entwickelte Arbeitsklima-Kompass ist ein Tool, das mittels Mitarbeiterumfrage Einblick in die Gesundheit, Motivation und Unternehmensbindung der Belegschaft gibt. Er formuliert, basierend auf den individuell erhobenen Daten, konkrete und auf den Betrieb abgestimmte Handlungsempfehlungen, um das Arbeitsklima zu verbessern und die Gesundheitsrisiken zu reduzieren. Für Firmen mit einer Personenversicherung bei der AXA ist das Tool kostenlos. 

Es fehlt an Zeit und Know-how

Das Gesundheitsmanagement liegt im betrieblichen Interesse jedes Unternehmens – ganz abgesehen davon, dass einem das Wohlergehen der Mitarbeitenden meist auch persönlich am Herzen liegt. Grosse Unternehmen haben häufig ein internes betriebliches Gesundheitsmanagement, welches die Gesundheit der Mitarbeitenden mit präventiven Angeboten schützt, sich professionell um erkrankte oder verunfallte Mitarbeitende kümmert und diese bei der Wiedereingliederung unterstützt.

KMU hingegen betreiben häufig kein eigenes BGM. «Das betriebliche Gesundheitsmanagement steckt in KMU häufig noch in den Kinderschuhen, es fehlt an Zeit und Know-how», weiss Dr. Mirjana Tschudi, Dozentin für Gesundheitsförderung an der Fernfachhochschule Schweiz. Das ist deshalb problematisch, weil der Ausfall einer oder eines Mitarbeitenden in kleineren Unternehmen ungleich stärker ins Gewicht fällt als in grösseren, wo die Arbeitslast auf mehr Schultern verteilt werden kann. Gerade KMU haben also ein grosses Interesse daran, die Gesundheit der Mitarbeitenden präventiv zu erhalten.

«Bei kleineren Unternehmen mit bis etwa 25 Mitarbeitenden mit einer guten Unternehmenskultur funktioniert das Gesundheitsmanagement häufig noch gut über die persönlichen Beziehungen.» Mit steigender Unternehmensgrösse geht jedoch die Übersicht schnell verloren, weshalb auch KMU ein starkes Interesse daran haben sollten, präventive Massnahmen zum betrieblichen Gesundheitsmanagement zu etablieren.

Mehr Innovation, weniger Unterbrechungen

Bei der Analyse der Umfrageergebnisse der Farb AG haben sich drei Handlungsfelder herausgestellt: Vision und Unternehmensstrategie verdeutlichen, Innovationskompetenz erhöhen und Arbeitsunterbrechungen einschränken. «Der erste Punkt überrascht uns nicht, da sich unsere Firma gerade in einem Wandel befindet. Wir können davon aber ableiten, dass es wichtig ist, transparent darüber zu informieren», folgert Roland Hegnauer. Beim zweiten und dritten Punkt seien mögliche Massnahmen die Überarbeitung des Vorschlagwesens, die Einführung von «Bitte nicht stören»-Schildern am Pult oder Workshops zum Thema Arbeitsorganisation und Umgang mit Stress. Das Kader werde die tatsächlichen Massnahmen ihrer Analyse im Rahmen eines Workshops ausarbeiten. Bis dahin betreibe es Erwartungsmanagement, denn durch die Umfrage entständen vonseiten der Mitarbeitenden Erwartungen, dass sich nun sofort etwas ändere. Es sei deshalb ihre Aufgabe, einerseits zu erklären, dass es bei langfristig angelegten Massnahmen länger dauern könne, bis sie sichtbar würden, und andererseits auch Massnahmen zu implementieren, die schneller sichtbar seien, so Roland Hegnauer. «Dies ist unser erster Schritt in Richtung BGM. Wir haben noch einiges vor uns und werden nochmals gefordert sein. Doch ich bin zuversichtlich, denn jeder Schritt bringt uns näher ans Ziel.»

  • WeCare: Betriebliches Gesundheitsmanagement
    WeCare: Betriebliches Gesundheitsmanagement

    Ob präventive Massnahmen für mehr Mitarbeitergesundheit oder schnelle Hilfe im Ernstfall: Mit WeCare wissen Sie das Wohlbefinden Ihrer Mitarbeitenden jederzeit in den besten Händen.

    Mehr zu Wecare

Tipps und Tricks für einen gesundheitsfördernden Arbeitsplatz

Wachsam sein

Viele Vorgesetzte und Mitarbeitende spüren es, wenn eine Kollegin oder ein Kollege angeschlagen ist. Änderungen im Verhalten und Auftreten können Anzeichen einer Belastung sein. Zum Beispiel, wenn eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter über mehrere Wochen langsamer arbeitet als früher, vermehrt Fehler macht, unkonzentriert ist, gereizt reagiert, traurig, antriebslos oder verändert wirkt, häufig zu spät kommt, ausfällt oder viele Überstunden macht, ohne mehr Arbeitslast zu haben. Führen Sie ggf. Mitarbeiterbefragungen durch, um frühzeitig geeignete BGM-Massnahmen zu ergreifen. Vergleichen Sie zudem Kennzahlen zu Absenzen und Fluktuation mit denjenigen anderer KMU derselben Branche – das Bundesamt für Statistik führt entsprechende Statistiken.

Schnell reagieren und langfristige Massnahmen planen

Je früher man Massnahmen zur Entlastung einleitet, desto grösser ist die Chance, einen Krankheitsfall zu vermeiden. Klären Sie bei Handlungsbedarf den Ressourcenbedarf und erstellen Sie ein BGM-Konzept, das Sie von der Geschäftsleitung verabschieden lassen. Planen Sie kurzfristige, mittelfristige und langfristige BGM-Massnahmen für einen nachhaltigen Effekt. Vergessen Sie nicht die wiederkehrende Kommunikation: Die Informationen zum Angebot sollten Sie in möglichst viele Prozesse einbinden – beispielsweise bei Eintrittsgesprächen, Mitarbeitergesprächen usw.

Stress vorbeugen

Stress- und Burnout-bedingte Ausfälle verursachen für Schweizer Unternehmen jährlich immense Kosten. Um Stress zu reduzieren, sind organisatorische Massnahmen die beste Wahl. Zum Beispiel, indem man Aufgaben umverteilt, zu ambitionierte Ziele vermeidet, Performance-Kennzahlen kritisch hinterfragt oder Standardprozesse digitalisiert und damit Mitarbeitende entlastet. Manchmal sind betriebliche Stressoren jedoch nicht veränderbar, weil sie Teil der Arbeitsaufgabe sind. Dann sind Massnahmen zum Umgang mit Stress und zur Stärkung von Resilienz und Achtsamkeit unabdingbar.

Ergonomie am Arbeitsplatz

Ob in der Firma oder im Homeoffice: Wenn das Mobiliar schlecht eingestellt oder schlichtweg ungeeignet ist, führt dies zu einer unnatürlichen Körperhaltung. Dies ist besonders ungesund, wenn Beschäftigte viel sitzen oder stehen müssen. Mobiliar sollte grundsätzlich den ergonomischen Ansprüchen genügen und richtig eingestellt sein. Schulungen zur gesunden Nutzung können teilweise kompensieren, wo optimales Mobiliar nicht unmittelbar verfügbar ist.

Bewegung, Entspannung und Ernährung

Bewegung, Entspannung und eine gesunde Ernährung tragen massgeblich zur Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden bei. Ob mit einem unternehmensinternen Fitnessraum, gemeinsamen sportlichen Aktivitäten oder einer Walk-and-Talk-Sitzungskultur – zusätzliche Bewegung begünstigt die Konzentration und die Kreativität. Dabei soll aber auch die Entspannung nicht zu kurz kommen. Entspannende Hintergrundmusik, Arbeitsräume ohne Ablenkung oder Betten für Powernaps können Abhilfe schaffen. Die gesunde Ernährung kann durch ein wöchentliches Team-Mittagessen oder eine Wassertrinken-Erinnerung im Kalender unterstützt werden.

Den persönlichen Austausch fördern

Gemeinsame Aktivitäten sorgen für Abwechslung und fördern den Zusammenhalt im Team. Zudem sind sie eine wichtige Ressource gegen Stress. Nicht nur, weil es entspannt, im Pausenraum kurz über das Wochenende zu sprechen, sondern auch, weil es die Hilfsbereitschaft, den Informationsfluss und das Gemeinschaftsgefühl stärkt. Optionen zur Förderung des persönlichen Austauschs gibt es viele: physisch oder virtuell, spontan oder geplant, als kurze Kaffeepause, längere Mittagspause oder Teamausflug.

Know-how beschaffen

Holen Sie sich professionelle externe Unterstützung ins Boot, wenn intern das Know-how fehlt.

Zur Studie

Gemäss Befragung der AXA haben heute drei Viertel der KMU gezielt Massnahmen ergriffen, um die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden zu verbessern: Knapp die Hälfte der Befragten sind bestrebt, ein gutes Arbeitsklima zu schaffen. 39 Prozent achten auf die Arbeitsplatzgestaltung. Etwas weniger häufig fördern sie eine gesunde Work-Life-Balance (26 Prozent), Sport und Bewegung (19 Prozent) oder die Ernährung (16 Prozent). Eher selten haben sie Massnahmen ergriffen, die auf eine Reduktion des Leistungsdrucks zielen. Und weniger als jedes zehnte KMU coacht seine Mitarbeitenden darin, gesünder zu leben.

Drei Fragen an Martin Rüthemann, Leiter BGM bei der AXA Schweiz

Herr Rüthemann, für Kleinunternehmen kommt ein betriebliches Gesundheitsmanagement kaum je in Frage. Reicht ein offenes Ohr für die Sorgen der Mitarbeitenden nicht aus?

Eine gute Unternehmenskultur ist sicher wichtig. Sie gibt Raum, auch über Persönliches zu sprechen, die Frage «Wie geht es dir?» sollte dann auch keine Floskel sein. Doch wenn jemand ernsthafte Probleme hat, wenn es in Richtung Burnout oder Depression geht, sind eben seitens Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer doch häufig Hemmungen da, dies mit der Chefin oder dem Chef zu besprechen. Das sind sehr persönliche Dinge. Und beim einen oder der anderen dürfte auch die Angst mitspielen, die Arbeitsstelle zu verlieren, wenn sie offen darüber sprechen. 

Was können kleine Unternehmen denn sonst tun?

Wichtig ist, seine Mitarbeitenden darin zu unterstützen, ihre persönlichen Ressourcen in Einklang zu halten, und ihnen dafür Mittel an die Hand zu geben. Je nach Bedürfnis der Mitarbeitenden können das unterschiedliche Angebote in den Bereichen Bewegung, Ernährung oder Entspannung sein. Wichtiger als das konkrete Angebot ist, dass bei den Mitarbeitenden ankommt, dass Sie helfen möchten, dass Sie sich kümmern, dass es in Ihrem Betrieb in Ordnung ist, auch an die eigenen Ressourcen zu denken. In den nächsten Jahren werden auch mehr und mehr digitale BGM-Angebote auf den Markt kommen, die einen solchen Prozess unterstützen.

Was kann man sich unter solchen digitalen Angeboten vorstellen?

Gesundheits-Apps für persönliche Zwecke sind bereits heute stark auf dem Vormarsch. Für das BGM von KMU sind solche digitalen Helfer sehr interessant, weil sie kostengünstig sind und dennoch helfen können, die Gesundheit der Mitarbeitenden zu erhalten. Wichtig wird bei solchen Angeboten sein, dass sie von den Mitarbeitenden als Hilfe empfunden werden, dass die Anonymität gewahrt wird und dass der Übergang zu physischen Angeboten gewährleistet ist. Denn wenn ich mich einem Burnout nähere, nützt mir die App nicht mehr viel, dann brauche ich mehr und vor allem persönliche Unterstützung.